Reiche entstehen, Reiche verschwinden, Städte wachsen und vergehen – in der Science-Fiction-Dokumentation „MappaMundi“ der in Wien lebenden Filmemacherin Bady Minck bewegt sich die Kamera über mehr als 100 Landkarten – allesamt real existierende historische Zeugnisse aus der Menschheitsgeschichte. Eine Geschichte, die an der Existenz „unseres“ Planeten bemessen gerade mal einem Pinselstrich in einem Gemälde gleicht. Der Mensch erscheint in Mincks kunstvoller Stop-Motion-Animation als nicht mehr als brauner Punkt, der sich über die Kontinentalplatten des Planeten bewegt, ähnlich einem Floh, der auf einem Hundefell hin und her springt.
„Since a few years I have to deal with some kind of parasite”, beschwert sich die Erde, durch Alien-Technologie zum Reden, gebracht bei einem Team von außerirdischen Kartografen. Die kleine Gruppe von Erkundern, die sich in einer Art Wurmloch fortbewegt, stößt bei ihrer Reise durchs All zufällig auf den Himmelskörper. Neugierig begeben sie sich auf eine Spurensuche und entdecken 150.000 Jahre der menschlichen Migration. Vor allem die über die Zeit entstandenen Orientierungstools der „Parasiten“ haben es den extraterrestrischen Wissenschaftern angetan und so werden kurzerhand 15.000 Jahre kartografischer Dokumente im Zeitraffer erforscht. Die Abbildungen von Wegen, Landschaften und Siedlungen sind für die Erde, wie sie selbst erläutert, nicht mehr als unterschiedlich geartete „Portraits“– Kunstströmungen, wenn man so will, beeinflusst von der jeweiligen ideologischen Ausrichtung ihrer Schöpfer.
Kunst trifft auf Wissenschaft
In Bady Mincks filmischer Schöpfung verschmelzen die Jahrtausende alten Portraits zu einer Art Orgie für die Augen. Die vielen Details mit der die Kartenanimationen ausgestattet sind, kommen besonders auf der Kinoleinwand gut zur Geltung. Mit voller Wucht trifft Kunst auf Wissenschaft und beide formen ein cineastisches Erlebnis der ungewöhnlichsten Art. Zielgruppe: all jene, die Spaß an ungewöhnlichen Filmen haben und dabei zudem noch etwas lernen wollen. Mit seinen knapp 45 Minuten Länge fungiert „MappaMundi“ nicht zuletzt auch als Unterrichtsstunde in punkto Geschichte. Was vermutlich viele nicht wissen: erste Karten lassen sich bereits in Stein geritzt vor 13.000 Jahren nachweisen. Während diese ältesten Relikte menschlicher Kartografie wie beispielsweise eine Landkarte mit Wegangaben, die in der Ukraine gefunden wurde, als Orientierung dienten, so wurden kartografische Darstellungen im Christentum zum Mittel der Untermauerung eines Glaubenssystems – weniger auf Genauigkeit als vielmehr auf die Deutung der Welt im Sinne der christlichen Lehre kam es an. Bei den Römern wiederum kamen Karten hauptsächlich für utilitaristische Militär- und Handelszwecke zum Einsatz, wogegen in asiatischen Kulturen – mit Ausnahme von China, das sich selbst als Reich der Mitte ins Zentrum rückte – materielles und immaterielles zum kunstvollen Kartenkonstrukt verschmilzt.
Und auch die emsigen Planeten-Forscher müssen erkennen: jede Kultur hat ihre eigene Auslegung von der Welt. Davon hat sich auch in unserer Gegenwart trotz Erfassung der Oberfläche der Erde mittels Satellitenfotografie nichts geändert. Wie die Fotos gebogen und zusammengesetzt werden, spiegelt noch immer vorherrschende Denksysteme und Machtverhältnisse wider. Der Blick in unsere heutige Zeit ist für die Wissenschaftler jedoch versperrt – eine Unmenge an Weltraumschrott beeinträchtigt die Sicht. Und so geht es Fast Forward weiter in der Zeit bis die Erde vom Befall der Menschheit befreit wieder aufatmen kann.
Mehrere Jahre hat Bady Minck für ihren Film recherchiert, Hunderte von Karten studiert und sich mit Experten zum Thema beratschlagt. Das Ergebnis hat ein Rezensent, der „MappaMundi“ bei der Premiere beim Sundance Filmfestival vergangenes Jahr gesehen hatte, als „verrücktester aller verrückten Filme“ bezeichnet. Mit einer Auszeichnung für bestes Sounddesign und Music mit dem Asifa Award wurde „MappaMundi“ zudem eine weitere Ehre zuteil. Die Geräusche der kosmischen Kartografen sowie des „Raumschiffs“ wurden allesamt von Beatboxern eingespielt. Und so verschwindet die Erde am Ende zu mit dem Mund erzeugten Geräuschen in der Dunkelheit eines schwarzen Loches.
MappaMundi: Ein Science-Docu-Fiction von Bady Minck. Luxemburg/Österreich. 2017. 45 Minuten
Termine:
20. Juni 2018 im Filmhauskino Wien
22. August 2018 im Salzburger Kunstverein
23. August 2018 beim Freistadt Festival „Der neue Heimatfilm“
8. Oktober 2018 im Leo Kino Innsbruck
8. Oktober 2018 im Filmstudio Villach
10. Oktober 2018 im Movimento Linz
11. Oktober 2018 Rechbauer Kino Graz
Wer neugierig geworden ist – mehr von Bady Minck gibt es auf Flimmit: https://www.flimmit.com/catalog/category/view/id/3?directors=Bady%20Minck
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